Forstern 14.07.1894 von
Thomas Sävert
Umgebungskarte
(Auszug aus Top200, Bundesamt für Kartographie und Geodäsie)
Aus einer Meldung der Münchner Neuesten Nachrichten vom 17.07.1894: "Ein heftiger Hagelschlag ging heute zwischen 14h30 und 15h00 unter Blitz und Donner auf unsere Stadt nieder. Der Himmel war so finster, daß man nur mit Mühe im Zimmer lesen konnte. Die Schloßen fielen mit furchtbarer Gewalt herab und hatten die Größe von Haselnüssen, teilweise auch von Taubeneiern. Die Wege in den Anlagen waren bedeckt mit Blättern und Zweigen. Gegen 6h (=18h) machte sich bei Abkühlung der Luft ein starker Sturmwind bemerkbar, der stoßweise auftrat und eine bedeutende Gewalt entwickelte, dann begann es zu regnen mit Blitz und Donner. Trudering wurde schwer von dem Hagel betroffen. Hühnereigroße Schloßen fielen vom Himmel, am neugebauten Schulhause wurden an der Westseite sämmtliche Fenster zertrümmert. Im Freien wurden viele Vögel, Rebhühner und Hasen erschlagen. Auch in Feldkirchen und Salmdorf wurden die Dächer durch den Hagel beschädigt."

Aus einer Meldung der Freiburger Zeitung vom 18.07.1894: "München, 16. Juli. (Verheerender Sturm.) Mehrere Ortschaften Oberbayerns wurden vorigen Samstag von einer cyklonartigen Windhose heimgesucht. 200 Anwesen sind zerstört. Der Prinzregent wies für die Betroffenen 3000 Mark an und sandte zur Hilfeleistung 100 Pioniere." (Quelle: Universitätsbibliothek Freiburg)

Aus einer Meldung der Freiburger Zeitung vom 20.07.1894: "Ueber das entsetzliche Unwetter, das, wie gemeldet, am Samstag Nachmittag verschiedene bayrische Dörfer in der Umgegend von München heimgesucht, entnehmen wir einer anschaulichen Schilderung der "Münch. Neuest. Nachr.", die zwei Redakteure an Ort und Stelle entsandten, folgende Einzelheiten: In Forstinning stehen wir in der Mitte des Arbeitsgebietes des Zyklons. Hier erschließt sich dem Blick eine Straße, die einem wahren Trümmermeer gleicht. Hier wirkt das Zerstörungswerk durch die Masse des Vernichteten erschütternd. Rechts und links ein Haus neben dem anderen, das diese Bezeichnung nicht mehr verdient. Man glaubt, es habe hier ein entsetzliches Erdbeben Alles bis in die Grundfesten durcheinander gerüttelt. Die Bedachung der Häuser war in dieser Gegend sehr verschieden. Die meisten Häuser und Nebengebäude trugen zwei Arten von Dachungen, zumeist Ziegel und Stroh, oder Blech, Holz und Schiefer. Dieses gesamte Material ist wie auf große Kerichthaufen zusammengefegt. Von den Dachstühlen starren nur noch einzelne Balken und Sparren in die Luft. Zumeist ist auch das Mauerwerk gänzlich vernichtet, so daß man durch die Häuser förmlich durchsehen kann. Die halben Häuser liegen auf der Straße oder in den Wiesen. Man steigt über Bäume, Telegraphenstangen, Ortstafeln, halbe Blechdächer, Bretter, Balken, Ziegel, Fensterscheiben, allen möglichen Hausrath hinweg! Einzelne Ansichten der zerstörten Anwesen sind geradezu erschütternd, in der Art, wie sie sich als Ruinen repräsentiren, sogar malerisch. Hier äußert sich das Elend an allen Ecken und Enden. Leute, welche gestern noch ein bescheidenes Heim ihr eigen nannten, stehen heute weinend davor. Sie wissen nicht, wo aus und ein und scheinen von dem Elend, das sie so jäh betroffen, wie betäubt. Nur hie und da regt sich schon die unverwüstliche Thatkraft des Menschen, die auf den Trümmern von gestern heute wieder baut. Einzelne versuchen sich, gegen den drohenden Regen dadurch einigermaßen zu schützen, daß sie über die dach- und sachlosen Wohnräume Bretter legen. Andere ziehen aus den Trümmern Betten und anderen Hausrath hervor. Einzelheiten herauszugreifen, würde uns zu weit führen. Wir müßten ein und dasselbe Bild grauenhafter Verwüstung hundert Mal schildern.
Nur ein Bild! Wir sind bei dem ehemals stattlichen Forsthuber-Anwesen. Eine der Gebäulichkeiten zierte am Samstag noch ein solides Schieferdach mit Mansarde, hinter deren Fenster gar freundlich weiße Vorhänge und einige Blumenstöcke grüßten. Der Orkan wurde damit rasch fertig. Er schuf in wenigen Sekunden ein anderes Bild. Er hob das Schieferdach, ohne es zu zerstören, vollständig und setzte es zehn Meter weit weg in den Garten des Hauses. Mansarde und Fenster waren unversehrt. Um so mehr mußte der Besitzer des Hauses die Brutalität der Naturgewalt fühlen. Forsthuber wurde, als er sein Haus verlassen wollte, von dem Wirbelsturm erfaßt und wie "a Faßl", sagte seine weinende Tochter, 50 bis 60 Meter gegen den Wald zugedreht. Auf allen Vieren mußte er zurückkriechen. Er scheint in dem Moment das Haus verlassen zu haben, als das Schieferdach seine Luftfahrt machte. Denn er ist durch einen Schiefersplitter schwer verletzt. Es wurde ihm der Kopf gespalten, so daß das Gehirn bloßliegt. Der Mann ist von dem Arzt verbunden. Er bleibt aber nicht zu Hause. Wie seine Tochter, die selbst vom Wirbelwind erfaßt, glücklicherweise sich aber noch festhalten konnte, erzählt, "treibt es ihn im Dorf umeinanda".
Die Straße, die wir nun einschlagen, war am Samstag noch von einer Allee von alten, stämmigen Pappeln umsäumt. Heute sind von dieser Allee allerdings die Bäume noch vorhanden. Aber keiner steht mehr an seinem Platze. Wie Strohhalme riß sie der Orkan aus ihrer 50- bis 100jähr. Wiege und warf sie spielend nach allen Richtungen der Windrose umher. Um die Straße fahrbar zu machen, mußten viele der prächtigen Stämme, die kaum zwei Mann zu umfassen vermögen, durchsägt werden. Damit sich unsere Leser, wenn auch nur annähernd, einen Begriff von der Energie des Wirbelsturmes machen können, nur noch Folgendes: Links im Straßengraben liegt eine Fuhre Langholz, 20 bis 30 Stämme in einer Länge von etwa 10 Meter. Sie sind durch Ketten fest verbunden und repräsentiren ein enormes Gewicht. Der Orkan wehte die ganze Fuhre sammt Pferden und Fuhrknecht in den Straßengraben. Bei einem kleinen Trümmerhaufen macht uns unser Kutscher darauf aufmerksam, daß hier das Häuschen einer "einschichtigen Schustersfrau" stand. Die arme Frau, die in ihren alten Tagen so jäh um ihren einzigen Besitz gekommen, ist fort. Einsam trauernd sitzt ein kleines Kätzchen auf den Trümmern.
Noch nicht haben wir die größte Zerstörung, noch nicht das größte Elend gesehen. Die Hauptkraft des Elementes hat sich auf die nun folgende Gemeinde Forstern geworfen. Wir haben uns die traurige Aufgabe gestellt, jedes einzelne dieser in unbeschreiblicher Weise verwüsteten Häuser in Augenschein zu nehmen. Unseren Lesern wollen wir die Qual einer Schilderung des Elendes ersparen. Wir bitten Sie, mit uns eine hinter dem Orte sich erhebende Anhöhe zu ersteigen, von wo aus sich ein Gesammtbild des vernichtenden Ortes bietet. Wir machen uns das Urtheil eines anwesenden Veteranen zu eigen, der beim Anblick dieses Dorfes in den Ruf ausbrach: "Nicht so schlimm sah es in Bazeilles aus!" Das Dorf macht den Eindruck, als wäre es einen Tag lang bombadirt worden. Der Kirchthurm ist oberhalb der Uhr förmlich rasirt und in sich selbst zusammengestürzt. Die Trümmer sammt den Glocken stürzten auf den Altar in der Apsis der Kirche. Als die Thür zur Kirche geöffnet wurde, bot sich uns ein unvergeßlicher Anblick. Der Altar war unter einem Haufen von Schutt und Trümmern begraben, aus dem noch die Glocken hervorlugten. Die den Altar schmückende Madonnafigur ragte in demolirtem Zustande auch noch aus dem Chaos hervor. Durch das völlig zerschlagene Dach schauten des Himmels Wolken tief herein.
Wir verlassen die Kirche, die keinen sicheren Aufenthalt mehr bietet, und statten dem sie umgebenden Friedhof einen Besuch ab. Auch die stille Ruhe der Todten wurde gestört. Sämmtliche Grabsteine, darunter schöne, massive Granit- und Mamorblöcke sind wie Kartenblätter nach einer Richtung hin übereinandergelegt, alle beschädigt und geborsten.
Wir kommen in den zur Gemeinde Forstern gehörigen Orte Thading und stehen hier vor dem Bild des Elends und Jammers, das von keinem übertroffen wurde. Wir stehen vor einem Haus, das erst neu und massiv erbaut war. Sein Besitzer war erst kürzlich durch einen Brand um Hab und Gut gekommen. Dem Feuer folgte ein noch mächtigeres Element und vernichtete abermals das, was er mühsam eben errichtet. Nicht genug damit. Wir treten in das zum größten Theil zerfallende Haus ein, gefolgt von einer großen Menschenmenge. Auf einer Bank am Fenster liegt ein zwölfjähriger Knabe, der einzige Sohn seiner Eltern. Er sollte in den nächsten Tagen gefirmt werden. Nun ist er todt. Er betrat den Stall in demselben Momente, als dieser zusammenstürzte, wurde durch die herabfallenden Trümmer niedergeworfen und erstickte. Kurz ehe wir kamen, hatte man den Knaben aus den Trümmern herausgezogen. Als wir ihn sahen, konstatirte die Leichenschau den Tod. Hinten am Herd in demselben Zimmer, das eine Menge weinender Landleute erfüllte, saß die Mutter in dumpfem Schmerz. Sie konnte nicht mehr weinen. Unter den Anwesenden, die gestern Nachmittag die traurigste Stätte des Unglückes im Umkreise von 4 bis 5 Stunden, in dem der Cyclon gewüthet hatte, besuchten, befand sich auch Excellenz Minister Freiherr v. Feilitzsch. Mit rührender Menschenfreundlichkeit tröstet der die Mutter, sprach ihr Muth zu und linderte ihre augenblickliche Noth durch ein schönes Geldgeschenk. Der Prinzregent hat den heimgesuchten sofort 3000 M. angewiesen, die "Neuest. Nachr." 1000 und auch sonst sind die Gaben schon zahlreich geflossen." (Quelle:Universitätsbibliothek Freiburg)



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