Groß Buchholz 17.09.1830 von
Thomas Sävert
Umgebungskarte
(Auszug aus Top200, Bundesamt für Kartographie und Geodäsie)
Umgebungskarte
(Auszug aus Top200, Bundesamt für Kartographie und Geodäsie)
"...Am gleichen Tage (17. September) vernichtet um 18 Uhr ein Wirbelsturm das Dorf Groß Buchholz bei Hannover; er kommt von Eckerde, über Göxe, Lenthe, Herrenhausen und rast über Heeßel nach Hänigsen weiter" (Quelle: F. Hamm, Naturkundliche Chronik Nordwestdeutschland, 1976). Ausführlich beschrieben wird das Ereignis in den "Hannoverschen Anzeigen" vom 22. September 1830 und in "Die List" - 700 Jahre Umschau aus der Dorf- und Stadtgeschichte des Arbeitskreises Stadtteilgeschichte List von Ernst Bohlius und Wolfgang Leonhardt: "[...] Es war am 17. September, Nachmittags zwischen 5 und 6 Uhr, als bei einem heftigen Gewitter das Dorf Großen-Buchholz, Amts Langenhagen, in den Wirbel einer sogenannten Windhose gerieth. 15 große Wohnhäuser und 20 Nebengebäude litten dadurch dergestalt, daß nicht allein die Dächer ganz verloren gingen, sondern die größte Zahl derselben auch bis auf den Grund niedergerissen und der in den Häusern befindliche ohnehin sehr geringe diesjährige Erndteertrag von dem Wirbelwinde überall umher geschleudert wurde. Ein Knabe von elf Jahren, Sohn des Schäfers im Orte, und ein Mädchen wurden unter den Trümmern eines eingestürzten Hauses begraben, letzteres jedoch lebend, der Knabe aber ganz zermalmt unter denselben wieder hervorgezogen. [...] Die ganze Aernte der Verunglückten hing theils in den Bäumen umher, theils war sie in die Straßen, Pfützen, Gräben und Brunnen geschleudert. Eichbäume waren ausgerissen, alle Obstbäume lagen darnieder. Ein dicker Apfelbaum war von seiner alten Stelle sogar über 100 Schritt weit vom Wirbel fortgetragen und in eine Wiese geworfen, ein neuer steinerner sehr starker Thorwegpfeiler von Grund aus umgestürzt und eine zwei Fuß im Durchmesser auf demselben eingegossene Kugel von Stein sechs Schritte weit fortgeschleudert. [...] Nicht nur das Dorf "Großen Buchholz" wurde am 17. September in Mitleidenschaft gezogen; auch in den Dorf Eckerde (Amt Wennigsen) wütete der Orkan. [...] und in wirbelndem Zuge Alles mit sich fortrissen, was ihnen irgend im Wege stand. Häuser, Bäume, Getreide, - Alles verschwand in einem Augenblicke unter der vernichtenden Gewalt dieser Windsbraut; massive, ganz neue Gebäude wurden dabei wie vom Erdboden erschüttert, und bekamen zollbreite Risse; dabei fiel Hagel, groß wie Hühnereier. Alle, die davon umgeben waren, umhüllte eine dicke Finsterniß [...] Fünf Scheunen mit dem Getreide liegen völlig in Trümmern darnieder [...]"

"Revolution in und um Hannover.
"Auch dort, in dem friedlichen Hannover?" höre ich im Geiste Diesen und Jenen stutzend fragen. Auch bei uns bat sich's tüchtig gerührt, indeß war diese Revolution ganz anderer Natur, als alle die, welche im Süden und Norden ausgebrochen sind, oder vielmehr, sie war rein Sache der Natur, und hat durchaus nichts Menschliches an sich gehabt. Um mich deutlicher zu erklären, sage ich Ihnen, daß, während alle die Brauseköpfe und Demagogen, Ultra's und Demokraten, und alle die Mißvergnügten rund um uns her revoltirt haben, ist auch hier eine Revolution, veranstaltet von unserm lieben Herr Gott, ausgebrochen.
ES war am 17. September Abends 5 Minuten vor 6 Uhr, als ein aus Westen aufgestiegenes Unwetter seitwärts über Hannover hinzog. Das Thermometer, welches noch am Mittag auf 8 Grad Reaumur gestanden, schwang sich durch den Druck der Luft bis auf 17 Grad hinauf.
Ein Anblick, desgleichen man noch nie zuvor gesehen, war der einer dreifachen Wolkenlage, deren untere eine blasse Schwefelfarbe hatte, und sehr niedrig stand. Nur wenige Augenblicke gestaltete sich das Gewölk in diesen Figuren, als mit einem Male, während schwere Gewitterwolken von der entgegengesetzten Seite herüber zogen, die schwefelgelbe Wolke gleichsam wie mit einem Gewinde hinaufgeschwungen, perpendikulär in die Höhe stieg, und sich mit den obern Wolken vereinigte. In demselben Augenblick verdunkelte sich der ganze Horizont, und es erhob sich ein Wirbelwind (die Leute nannten es eine Windhose), welcher mit einer Vehemenz wüthete, von der jede Beschreibung nur schwache Umrisse liefern kann. Die ältesten Greise, ja selbst die älteste Chronik Hannovers, haben keine Beispiele auszuweisen, die diesem Orkane auch nur entfernt gleichgestellt werden könnten.
Ist auch die Stadt, wie bereits erwähnt, von dem Unglück verschont geblieben, so hat dasselbe desto härter die nächste Umgebung derselben betroffen. In der schönen Herrenhäuser Allee sind von den hundertjährigen Linden viele so mit den Wurzeln ausgerissen worden, daß sie zugleich einen Ballen Erde mit fortrissen, der eine Lücke von 6-8 Fuß im Umkreise, und 2-3 Fuß Tiefe in dem Boden zurückließ. Im Schloßgarten zu Mont-Brillant, der Sommersitz unseres Herzogs von Cambridge, sind fast hundert der stärksten Bäume theils entwurzelt, und theils mitten im kernigten Stamme, wie abgesägt worden. Unter diesen Bäumen befindet sich ein sechzigjähriger Plantanus, der, wie der königliche Gartenmeister versichert, seines besonders schönen Wachsthums wegen einen hohen Werth habe. Der schöne Rasenplatz vor dem Schlosse ist vergraben unter den eingestürzten Bäumen und Gesträuchen, von denen mehrere hundert Schritte weit geschleudert wurden. Gartenbänke wurden wie Schwefelhölzer von einem Ende des Schloßgartens bis zum andern gejagt. Höchst merkwürdig ist der Anblick zweier stämmiger Bäume von 40 Fuß Höhe, welche am Eingange des Gartens standen. Der eine wurde In der Mitte von dem Orkane durchschnitten, und der andere wie ein Strohhalm ausgerissen, und über die 12 Fuß hohe Gartenmauer in den Vorhof geschleudert.
Um sich einen Begriff von der Größe der Bäume in der Herrenhäuser Allee zu machen, bedenke man, daß an einem einzigen solchen Baume zwanzig Arbeiter bereits zwei Tage mit Winden und Hebel-Maschinen arbeiten, um ihn wieder einzusetzen, und noch nicht am Ziele damit sind, und solcher Kolosse hat der Orkan hunderte in einigen Minuten entwurzelt und zerschmettert.
In der kurzen Allee an der Chaussee nach List, eine Promenade dicht vor dem Tbore, sind 78 kernfeste Bäume mit dem Ballen aus der Erde gerissen worden. Das der Stadt gehörende Holz, die Eilenriede, bietet ein bejammernswerthes Bild der Zerstörung. Mehrere tausend Bäume liegen zerschmettert und entwurzelt umher, so daß die schönen Fuß- und Fahrwege gänzlich barikadirt sind.
Den herzbrechendsten Anblick gewährt das eine Stunde von Hannover entfernte Dorf Buchholz. Nahe an sechzig Häuser sind von dem Orkan zertrümmert worden. Der größte Theil derselben steht ebenfalls wie in der Mitte abgeschnitten da. Giebel, Dächer, und die ersten Etagen, sind fortgeschleudert worden. Die Gärten sind rasirt, Hecken und leichte Stallgebäude sind ins offene Feld gejagt worden. Gärten, Wiesen, Aecker, Brücken, Dämme, Alles liegt chaotisch durcheinander, und es wird noch eine geraume Zeit dazu erforderlich seyn, bis ein Jeder die Trümmer seiner Habe dazwischen hervorfinden wird. Wie bei dieser furchtbaren Zerstörung nur ein einziger Knabe sein Leben eingebüßt hat, und nicht mehrere Menschen unter den Schutthaufen begraben worden sind, ist ein unerklärbares Räthsel, und das um so mehr, da dieses schreckliche Ereigniß so plötzlich einbrach, daß kaum eine Minute vorher irgend Jemand etwas ahnen konnte. Seit drei Tagen strömen alle Einwohner Hannovers nach diesen Ruinen hinaus, die sie jedoch nur aus der Ferne anschauen können, da mehrere Straßen im Dorfe gänzlich verschüttet sind.
Die zerstörende Gewalt dieser sogenannten Windhose hat sich mitunter auf das Seltsamste ausgelassen. So siehet man Häuser, die in der Mitte wie abgemähet sind, andere, die bis auf den Grund zerstört wurden, und wiederum einzelne Gebäude, welche nur von dem Orkan gedrückt wurden, und sich an eine benachbarte Mauer anlehnen. Die meisten Bäume sind zwar aus dem Grund und Boden herausgeholt, dahingegen sind viele vom Gipfel bis zur Wurzel perpendikulär gespalten, und andere horizontal gleichsam wie mit einem Säbelhieb durchschnitten worden. Am aller bemerkenswerthesten sind die Lücken, welche hier und dort zu sehen sind. Rechts und links ist Alles verheert, und in der Mitte steht ein Haus, ein Baum, oder ein Geländer unverletzt da. So sah ich eine Scheune, die auch nicht den mindesten Schaden erlitten hatte, während alle die Gebäude, die Wand an Wand rings umher gestanden haben, zertrümmert wurden. Mehrere hundert Arbeiter, die aus den benachbarten Orten requirirt worden sind, beschäftigen sich vor der Hand damit, das Chaos möglichst zu ordnen.
Einer unsrer Staatsminister hat schon an Ort und Stelle diese Verheerungen in Augenschein genommen, und gewiß wird diesen Unglücklichen die Hülfe nicht fern seyn. Die Hannoveraner haben zu jeder Zeit sich als Freunde und Retter in der Noth bewährt, und werden bei dieser außerordentliche Mittel anwenden, um zu helfen.
Wie in der Regel bei einem Unglück stets ein Glück mit im Spiele ist, so erfreuen sich unsere zahlreichen Armen einer reichen Erndte an Holz für den nahen Winter. Bei der Theuerniß der Feuerung zitterte schon mancher Taglöhner und Hülfebedürftige vor dem Ankauf derselben; jetzt ist ihm erlaubt worden, aus den ruinirten Holzungen seine Vorräthe einzusammeln, und diese Armen greifen wahrlich nicht schlecht zu.
In den Gärten vor der Stadt ist auch sehr viel Schaden an Bäumen und Häusern geschehen, und in verschiedenen Gegenden sind ähnliche Verwüstungen angerichtet worden. In Horst, Amts Ricklingen, hat ein Blitzstrahl gezündet, und sind mehrere Häuser ein Raub der Flammen geworden. In Eckerda hat der Hagel viel Früchte zerschlagen, und die Häuser beschädigt. — Das Unwetter dauerte mit Blitz, Donner, Sturm, Hagel und Regen von 5 3/4 Uhr Nachmittags bis 11 3/4 Uhr Abends. Die Wuth des Wirbelwindes, welche die größte Verheerung anrichtete, war Sache von 6 Minuten, in welchem kurzen Zeitraum das vernichtet wurde, was Tausende von Menschenhänden in zwanzig Jahren nicht wiederherstellen können, ungerechnet die Anpflanzungen, zu deren Wiederherstellung in den vorigen Stand, die Alles reproduzirende Natur ein halbes Jahrhundert gebrauchen wird. - Georg Harrps." (Quelle: Damen-Zeitung, E. Spindler, 06.10.1830, recherchiert bei Google Books)

"Hannover. Gewittersturm, 17. Sept. Heute Abends haben wir in hiesiger Umgegend ein fürchterliches Unwetter erlebt. In dem Dorfe Buchholz sind etwa 14 Bauernhäuser sammt ihren Nebengebäuden theils eingestürzt, theils abgedeckt worden. Auch ließ eine Windhose ihre Gewalt zerstörend über die Gegend aus." (Quelle: Mährische Gesellschaft zur Beförderung der Landwirtschaft, der Natur- und Landeskunde, Ökonomische Neuigkeiten und Verhandlungen, Brünn, 1830; recherchiert bei Google Books)



zur Tornadoliste von Thomas Sävert

zur Homepage von Thomas Sävert