Leipzig 17.08.1842 von
Thomas Sävert
"Am 17. August 1842 wurde Eins., dessen Wohnung in Leipzig eine freie und weite Aussicht nach Morgen und Mittag hin gewährt, von seinen Hausgenossen gerufen, um das seltsame Schauspiel von Windhosen mit anzusehen. Von unsern Fenstern aus erblickte man auf der weit ausgedehnten Ebene des Schlachtfeldes drei sehr hohe regelmäßige Spitzsäulen von Staub, die erste eine viertel Meile südöstlich in der Nähe des Thonberges, bei dem Napoleonssteine, etwas rechts von der am dahin führenden Wege gelegenen Windmühle; die zweite und dritte links und rechts davon in größerer Entfernung, bei den Dörfern Stötterritz und Connewitz. Letztere beide verschwanden nach einiger Zeit, während die mittlere Windhose, ohne ihre Gestalt im mindesten zu ändern, uns näher kam; daher ich gegen zwei Uhr ein Fernrohr zur Hand nahm, um die Bewegung und Beschaffenheit derselben genauer zu prüfen. In dieser Stunde herrschte, so wie den ganzen Tag über, vollkommene Windstille; alle Windmühlen der Umgegend standen still; kein Blatt eines Baumes bewegte sich; die Sonne brannte heftig und am Himmel standen wenige Cirrostratos, während das Thermometer frei im Schatten um 2 Uhr 5 M. 28°R. zeigte. Die vollkommene Ruhe der Luft war Ursache, daß die Windhose gleichförmig fortschritt, ohne sich zu beugen, oder eine andere Gestalt anzunehmen. Ihr unterer Theil hatte die Gestalt eines Trichters, dessen Durchmesser auf der Erde etwa 2 Fuß, eine Menschenlänge höher, wo der derselbe am größten war. 10-15 Fuß zu betragen schien. Auf diesem Trichter stand eine hohe Spitzsäule, die sich unter einem Winkel von 10-15° gleichmäßig verjüngte und in eine wenig abgestumpfte Spitze auslief. Das Ganze hatte das Ansehen eines Cypressenbaumes, dessen Aeste unweit des Bodens beginnen. Der ganze Raum des Trichters war, wie man mit dem Fernrohre deutlich sah, voll von Staub, Sand und Erdschollen, die mit außerordentlicher Schnelligkeit fast horizontal herum sich drehten. Diese kreisförmige Bewegung war so groß, daß die Erdschollen und ähnliche Dinge Spirallinien bildeten; und das Auge hatte die Eindrücke, wie wenn die Räder eines Wagens so schnell sich umdrehen, daß die Speichen ineinander zu fließen scheinen. Dagegen war die fortschreitende Bewegung der Windhose nur langsam, und man hatte, wie sich später zeigte, als dieselbe in einer Entfernung von 100 Schritten vor unserem Hause vorüber zog, bequem im Schritt neben ihr her gehen können. Oberhalb des Trichters, der vollkommen undurchsichtig war, wurde die wirbelnde Masse immer lichter und dünner und gegen die Spitze hin, die nur aus leichtem gelblichen Staube zu bestehen schien, sah man die Wolken hindurch. Die von der Spitze des Trichters fortwährend aufgehobenen Gegenstände wurden in sehr wenig aufsteigenden Spirallinien, wie ich deutlich zu bemerken glaubte, auf der uns zugewendeten Seite von links nach rechts zu, mithin in der Richtung der gewöhnlichen Schraube gedreht. Zugleich fielen ohne Unterbrechung nach allen Seiten hin Erdklöße und Sand parabelartig herab, die größern unten aus dem Trichter, die leichteren oben aus der Spitzsäule, nachdem dieselben vom Wirbelwinde wahrscheinlich so hoch gehoben waren, bis ihre Masse der aufziehenden Kraft gleich war, oder vielmehr dieselbe überstieg.

Die Richtung der Windhose war dem Luftzuge nicht ganz gleich und änderte sich mehrmals. Denn während die Stellung der Windmühlen und die ein wenig gebeugte Rauchsäule der uns benachbarten Dampfmaschinenesse lehrten, daß die Luft von SSO herkam, schritt die Windhose von SSO nach NWW, bis sie bei der besagten Windmühle plötzlich einen anderen Weg einschlug, nach SW sich wendete und so in einem Bogen über die Nordspitze des sächsisch-bayerischen Bahnhofes, wo mehrere hundert Arbeiter ganz nahe dabei der wunderbaren, langsam vorüber schreitenden Erscheinung zusahen, hinweg zog, bis uns daselbst hinter dem angrenzenden Hause zu verschwinden schien. Vom Orte, wo die Windhose zuerst beobachtet wurde, bis zu ihrem Verschwinden hatte dieselbe ungefähr 3000 Schritte zurückgelegt, Etwa in 20 Minuten; daher man sagen kann, daß dieselbe nur mit der Schnelligkeit der bewegten Luft fortgeschritten sey. Ihre Drehung dagegen war vielleicht hundertmal schneller. Als die Windhose bei der uns zunächst liegenden Windmühle anlange, konnte ihre Höhe abgeschätzt werden, da, wie spätere Erkundigungen ergaben, die Spitze der Flügel 33 Ellen hoch sind und die Spitze der Windhose gegen 10 mal höher erschien, so daß ihre wirkliche Höhe zu 300 Ellen geschätzt werden konnte. Bald darauf sah man das Haus des Windmüllers zur Hälfte in der Windhose selbst einige Augenblicke stehen und bei Rücksprache mit dessen Bewohnern erzählten dieselben, noch ganz voll Entsetzen über den noch nie erlebten Zufall, daß ein plötzliches Brausen entstanden sey, daß der Wind einige Fenster eingedrückt, auf dem benachbarten Erdbirnenfelde eine ganze Reihe Kräutig herausgezogen, 8 große Ziegelsteine aus dem Dache gehoben und sie weit ins Feld hinüber geschleudert habe.

Vorstehende Beobachtungen wurde kurze Zeit später bei der Sitzung der hiesigen naturforschenden Gesellschaft vorgetragen, bei welcher Gelegenheit ein Mitglied erzählte, an demselben Tage und in denselben Stunden 4 Meilen von hier, zwischen Borna und Frohburg, ähnliche Windhosen gesehen zu haben, welche die Garben auf dem Felde aufgehoben und fortgeschleudert hätten. Zugleich aber theilte der Secretär der Gesellschaft gleichzeitige Beobachtungen eines Wirbelwindes im botanischen Garten mit, welche offenbar nur die Fortsetzung der unsrigen enthielten. Die Windhose scheint in der That, nachdem sie uns hinter dem benachbarten Hause verschwunden war, in grader Richtung über einen Theil der Petersvorstadt, ohne jedoch, vielleicht weil sie weniger tief reichen konnte, sichtbare Spuren zurückzulassen, hinweggeschritten zu seyn, um erst nach Wiederberührung des Bodens mit gleicher Kraft im botanischen Garten wieder aufzutreten. Ein Gehülfe im botanischen Garten, der nach der Versicherung des Directors als zuverlässig bekannt ist, hatte für letzteren folgende Beobachtung aufgezeichnet: "Am 17. Aug. 1842 Nachmittags zwischen 2 und 3 Uhr, bei heiterem und ruhigem Wetter, vernahm ich plötzlich einen sehr heftigen Windstoß, welcher, von Südost kommend, eine Staubwolke wirbelnd mit sich führte, alsdann durch das Rohr am Teiche hindurch sich wühlte, eine Quantität Wasser empor hob und dasselbe in Form eines geraden Trichters (derselbe war etwa 3 Ellen hoch, 1 ½ Elle im Durchmesser und nach unten gerade zugespitzt) ziemlich langsam von Südost nach Nordost bis zur Mitte des Teiches trieb, wo er dann durch eine zweiten Windstoß zertheilt zu werden schien, und zwar so schnell, daß man kaum erkennen konnte, auf welche Weise sich die Wasserhose verlor. Dieselbe hob, ihrem Ende nah, noch ein Wasserhuhn etwa 1 Fuß hoch übers Wasser und drehte dasselbe mit herum. Der Wirbelwind machte eine gerade Bahn übers Wasser, ungefähr 20 Fuß breit; das übrige Wasser war auffallend still. Nachdem die Wasserhose sich verloren, theilte dieselbe noch dem Lande sich mit und hob Staub und Laub in die Höhe. Ehe der Wind auf das Wasser kam, hatte er einen brausenden Ton, welcher sich auf dem Wasser in ein Zischen umwandelte, das fast dem Pfeifen glich und aufhörte, sobald die Wasserhose verschwand. Bald darauf war Alles wieder ruhig. B.C.W. Eden, Gartengehülfe im botanischen Garten zu Leipzig."" (Quelle: Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen, Sonnabend, den 29. Julius 1843)



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