Westharz 04.05.1952 von
Thomas Sävert
Zeitpunkt: gegen 16 Uhr MEZ. "Spätnachmittags reißt eine Windhose im Harz zwischen Seesen und Lautenthal eine 7 km lange Schneise von wechselnder Breite (100 bis 500 m) in die Wälder und wirft rd. 60 000 fm Holz. In der Gem. Reyershausen (Kr. Göttingen) beschädigt sie zahlreiche Hausdächer" (Quellen: F. Hamm, Naturkundliche Chronik Nordwestdeutschland, 1976 und D. Fuchs, Gefährdung des Tiefflugs durch Tornados, Traben-Trarbach in Promet, Heft 4/81, Seiten 8-10 und Dietwald Fuchs, Über das Auftreten von Tornados in der BRD in Abhängigheit von synoptischen und aerologischen Bedingungen. Monatsarbeit zum Ausbildungsabschnitt IV/2 der Wetterdienst-Referendarausbildung. Cochem-Brauheck. April 1978). Länge der gesamten Zugbahn ca. 50 km; betroffen sind u.a. der Norden Göttingens, Göttingen-Weende, Reyershausen, Suterode, Gittelde, der Bereich zwischen Seesen und Lautenthal bis östlich von Hahausen)

Aus einem Bericht von Dr. W. Kohlbach: "Am 15. September 1950 war über Hannover eine Windhose (oder Trombe) hinweggezogen, deren Verwüstungen in der Eilenriede noch in aller Erinnerung sind. In Heft 26 (1951) dieser Zeitschrift wurde darüber berichtet. Solche Tromben sind im Gebiet von Niedersachsen normalerweise eine seltene Erscheinung, vor allem ist das Ausmaß der angerichteten Zerstörungen meist nur gering und örtlich eng begrenzt.

Die am 15. September in der Eilenriede durch Windwurf angerichteten Zerstörungen waren etwa vergleichbar mit den in Nordamerika durch die dort häufig auftretenden gewaltigen Tornados verursachten Schäden an Gut und Leben. Sie wurden jedoch bei weitem übertroffen durch die Verwüstungen, die am 4. Mai 1952 eine Trombe in den Wäldern des Westharzes anrichtete.

Die Wetterentwicklung, in deren Verlauf am Nachmittag die Trombe entstand, war folgende: im Laufe des Tages zog ein umfangreiches Tiefdruckgebiet mit seinem Zentrum von der westlichen Biskaya über den Kanal hinweg zur Nordsee. Auf der Südostseite dieses Tiefs lag eine schwach entwickelte Kaltfront, auf deren Ostseite warme Festlandluft strömte, während auf der Westseite dieser Front kühlere vom Atlantik herstammende Meeresluft floß. Diese Front wanderte in den Morgenstunden mit Regenfällen über Frankreich hinweg und erreichte am Vormittag das Rheingebiet. Nun entwickelten sich im Warmluftgebiet vor der Front verbreitet Gewitter.

Eins dieser Gewitter zog aus Richtung Sudwest gegen 16.05 Uhr über Göttingen hinweg. Bisher waren noch keinerlei Anzeichen für eine Trombe beobachtet worden. Der Trombenvorgang muß jedoch bereits innerhalb der Gewitterwolke vorhanden gewesen sein. Denn im Luftdruckverlauf, der bei der Wetterwarte Göttingen registriert wurde, trat ein kurzzeitiger rascher Luftdruckfall und anschließend ein ebensolcher Luftdruckanstieg auf, wie er besonders bei den amerikanischen Tornados beobachtet wird. Diese unvermittelt einsetzende Luftdruckerniedrigung wird hervorgerufen durch die schnelle Rotation des annähernd senkrecht stehenden Luftwirbels. Dabei wird durch die Fliehkraft die Luft aus dem rotierenden Luftzylinder abgesogen und steigt in die Gewitterwolke auf, während infolge der Reibung in den erdnahen Schichten die Luft nur zögernd nachströmen kann.

Bei Weende, etwa 4 km nordnordöstlich von Göttingen (Abb.1), muß der aus der Gewitterwolke herabsteigende Wirbel die Erdoberfläche zum erstenmal erreicht haben. Von hier ab treten in Form von vereinzelten nestartigen Windwürfen im Walde die ersten Schäden auf (Abb. 2 und 3). Mehrere solcher Bruchnester ziehen sich über 13 km Länge fast geradlinig bis nach Suterode hin. Die auf diesem Teil der Trombenbahn verursachten Forstschäden betragen nur einen geringen Bruchteil der im weiteren Verlauf des Trombenvorgangs angerichteten Verwüstungen. Von Augenzeugen wurde das Geräusch beim Vorüberzug der Trombe geschildert, als ob viele Panzer angerollt kamen. 160jährige Buchen wurden entwurzelt, ein Förster 6 m weit durch die Luft geschleudert.

Von Suterode bis Gittelde, auf einer Strecke von 18 km, sind keinerlei Spuren der Trombe bekannt geworden. Ab Gittelde, also in fast geradliniger Verlängerung der bisher betrachteten Spur, beginnen die Verwüstungen im Westharz. Von hier ab reichen die Spuren auf 16 km Länge bis an den Nordrand des Harzmassivs. Auf diesem Streckenteil wurde die Trombe von mehreren Augenzeugen beobachtet. Forstmeister Dr. Platzer, der Leiter der Waldarbeiterschule Münchehof, beschreibt den Vorüberzug der Trombe in 3 km Entfernung folgendermaßen:

"Im Süden stand in Gegend Gittelde ein Gewitter, welches die Richtung Süd-Nord einzuschlagen schien. Es war eine tiefe, chaotische, tiefblaue typische Gewitterbewölkung zu sehen, ohne daß ein Böenkragen zu beobachten war. Es fielen daraus einzelne größere Tropfen mit kleinen, etwa erbsengroßen Hagelkörnern. Blitz oder Donner waren nicht zu hören.
Meine Frau hörte plötzlich durch das offene Fenster ein durchdringendes Bersten und Krachen von Osten her und bemerkte eine fahlgelbe Wolkenwand über dem braunschweigischen Buchberg. Dabei zeigte sich das Bild einer senkrecht stehenden spiralförmigen Walze. Sie stand am Berg auf, und aus ihr quollen dunkle, rauchfarbige Spiralen hoch, als ob aus einem durch das Gewitter entzündeten Waldbrand Rauchschwaden hochschlagen. Die Windhose schien sich über den Hang hinunter ins Pandelbachtal zu schieben, wobei in den aufquirlenden Spiralfetzen einzelne Fichtenbaumkronen, Laubholzzweige und sonstige nicht näher erkannte Gegenstände hochgetragen wurden und durch die Luft wirbelten. Das Gebilde behielt dabei die oben beschriebene Form und Farbe. Eine Zeit schien es, als ob sich das Wolkengebilde aus dem Pandelbachtal gegen Münchehof zu bewegen wollte, zog dann aber langsam, als Vorhang wirkend, in Richtung des Sautales. Plötzlich riß die Wolkenbank auf und gab den Blick auf die Abteilung 26 bzw. 27 frei. Wie von Geisterhand wurden die dort stehenden Buchen gepeitscht, bogen sich tief, richteten sich aber noch einmal auf und wurden durch einen zweiten Sog urplötzlich plattgewalzt, wobei man den Eindruck hatte, daß das bläulichgelbe Wolkengebilde bereits über die Höhe davongejagt schien. Einzelne Buchen in der Gegend des alten Jagdhauses peitschten zurück und blieben stehend erhalten. Erst nach dem Durchzug der Windhose setzte kräftiger Gewitterregen und stärkerer Hagel ein, wobei die Hagelkörner Bohnengröße nicht überschritten."

Waldarbeiterlehrling Werder beschreibt das Erlebnis mitten in der Trombe wie folgt: "Auf der Höhe des bis an die Pandelbachstraße linkerhand heranreichenden Fichtenstangenholzes begann es stark zu regnen, nachdem sich in den letzten 5 Minuten die Wolkenhöhe bis schätzungsweise auf 200 bis 300 m verringert hatte und die anfänglich graue Wolkenfärbung in Gelblichgrau übergegangen war. Zusammen mit 3 Jungen suchte ich in diesem Bestand vor dem Regen Schutz, ging aber mit ihnen wohl 50 m parallel zur Straße bis an den Bestandesrand weiter. Wir hatten diesen kaum erreicht, als sich ein mir in dieser Stärke bisher unbekannter Sturm erhob, dem in Augenblicksschnelle das Krachen des ersten Baumes folgt. Noch eben rechtzeitig flüchteten wir in die angrenzende Kultur hinein bis etwa 50 m vom Bestandesrand entfernt, im Rücken erfasst von dem Orkan, der zwei Jungen zu Boden schleuderte, und erlebten dort, wie ein heftiger, aber nur kurze Zeit andauernder Hagelschauer über uns niederging. Die Größe dieser Körner möchte ich mit 10 bis 15 mm Durchmesser angeben, ihre Festigkeit war gering, schon beim Auftreffen zersprangen die einzelnen Körner und verwandelten sich in schneeiges Wasser. Während des folgenden Regens hatten wir Zeit zum Umsehen: Am jenseitigen Hang waren die Buchen im Kern der heutigen Schadensfläche schon geworfen, nur an den Rändern schlug noch ein Stamm nach dem anderen um, und über dem Hang stand etwa 100 bis 150 m hoch eine graue bis schmutzig-ockergelbe Wolke, in der Kronenteile, Äste und Blätter durcheinanderwirbelten. Wahrscheinlich hatte die Trombe gerade den hinter dem Hang im kleinen Sautal gelegenen Buchen-Altholzbestand erfaßt."" (Quelle: Dr. W. Kohlbach, Wetteramt Hannover: Die Trombe des Westharzes am 4. Mai 1952 aus Neues Archiv für Niedersachsen, Jahrgang 1953, Heft 10/12)



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