Sehlis-Sitzenroda 12.05.1912 von
Thomas Sävert
Umgebungskarte
(Auszug aus Top200, Bundesamt für Kartographie und Geodäsie)
Zwischen 22 und 23 Uhr am späten Abend zog der Tornado über eine Strecke von mehr als 30 Kilometern von Plösitz aus über Sehlis, Tresenwald, Plagwitz und Püchau, dann über die Mulde hinweg und weiter über Großzschepa nach Hohburg und nach Sitzenroda. In mehreren Orten wurden Häuser schwer beschädigt, einzelne Gebäude stürzten ein. Danach überquerte der Tornado zwischen Belgern und Mühlberg die Elbe und zog damit nach Brandenburg. Die genaue Zugbahnlänge ist noch offen, sie dürfte aber 80 bis 90 Kilometer oder noch mehr betragen.

Gegen 23 Uhr am späten Abend zog der Tornado durch den kleinen Ort Sehlis bei Taucha und richtete hier enorme Schäden an. Dazu aus einer Meldung der Coburger Zeitung vom 15.05.1912: "In Taucha in Sachsen sind eine Anzahl Ziegeldächer abgedeckt und ein großer Teil solcher beschädigt. Eine aus Mauerwerk errichtete grundfeste Scheune wurde völlig niedergerissen. In völlig verworrenem, kaum zu beschreibendem Zustande befindet sich das Parthendörfchen Sehlis. Das ganze Gelände wurde verwüstet. Alles bildet einen Trümmerhaufen. Die Kirche ist abgedeckt und teilweise in ihren Festen beschädigt. Die erst vor kurzem geweihte neuerrichtete Schule ist fast völlig vernichtet, Giebel, Wände und Fenster eingedrückt, des Daches verlustig usw. Sieben im Mauerwerk grundfest errichtete Scheunen sind eingestürzt, zum Teil mit fortgerissen und der Erde vollkommen eingeebnet worden. Selbst die Grundmauern findet man zum Teil herausgerissen vor. Man sieht hier Gärten, in denen jeder Baum und Strauch entwurzelt ist. Es ist hier kein haus mehr vorhanden, was nicht Risse hätte oder sonst beschädigt wäre. Auf der Straße lagern Balken, Ziegeln, Bretter u. dgl., sie war an verschiedenen Strecken nicht passierbar." Aus einer weiteren Meldung der Coburger Zeitung vom 18.05.1912: "Ein zerstörtes Dorf. In dem großen S-Bogen, den die Partha zwischen Borsdorf und Taucha im Bezirk Leipzig beschreibt, liegt in einem fruchtbaren Wiesentale das etwa 300 Einwohner zählende Dörfchen Sehlis. Inmitten des Dorfes erhebt sich auf einem Hügel Wehrkirchen, eines jener Gotteshäuser, die einst auf hoher Warte erbaut und mit einem Wall umgeben wurden, um im Kampfe gegen einen Feind den Bewohnern als letzte Zuflucht zu dienen. Heute ist, wie schon gemeldet, das romantisch gelegene Gotteshaus eine Ruine. Mitsamt dem Dörflein ist es das Opfer einer furchtbaren Windhose geworden, die am Sonntag über das Dorf hinwegbrauste. Vom Dorfe Plösitz (Anmerkung: 1,5 bis 2 Kilometer südwestlich von Sehlis) herkommend, prallte der Sturm zunächst an die große Scheune des Gutsbesitzers Sperling und warf das ausgedehnte Gebäude mit einem einzigen Ruck über den Haufen. Dann faßte es die Schule, hob deren Dach ab und riß die nach Süden gelegene Giebelwand des Hauses weg. Mit knapper Mühe konnten der Lehrer und seine Frau - beide waren bereits zur Ruhe gegangen - sich in Sicherheit bringen. Gleichzeitig faßte der Orkan die Kirche. Im Augenblick war das Dach heruntergerissen, und ein Hagel von Ziegeln bewies, daß auch das Schiff in Trümmer ging. So steht das Kirchlein jetzt als Ruine da. Auf dem Friedhofe liegen umgestürzte Grabmäler und geborstene Säulen. Zahlreiche Hügel sind dem Erdboden gleichgemacht, von der Kapelle eines Erdbegräbnisses wurde das 5 Zentner schwere Zinkblechdach abgehoben und 100 Meter weit getragen. Der Sturm wickelte es wie ein Stück Papier um den Stamm einer Pappel. Schrecklich klang das Brüllen der Stalltiere. Dumpf tönte der Aufschlag fallender Mauern, Giebel und ganzer Gebäude in das Krachen des Donners. Aus den Trümmern der Ställe stürmten scheu gewordene Pferde und Rinder in die tolle Nacht. Des Unglücks ganze Größe ließ sich erst bei Tagesanbruch überschauen: Das Dorf glich einem Trümmerhaufen. Ueber gestürzte Bäume, gefallene Mauern, Balken, Zäune und Torflügel mußte der Fuß seinen Weg suchen. In den Obstgärten lagen Bäume, deren bis zu 1/2 Meter starker Stamm wie abrasiert wurde. Im Dorfteiche schwammen Balken und Möbelstücke. Die Mehrzahl der Gebäude war dem Erdboden gleichgemacht. Viele Einwohner mußten in der Nachbarschaft Taucha Unterkunft suchen." Nach Angaben der Chronik von Sehlis zog die Windhose weiter nach Püchau, wo ebenfalls erhebliche Schäden auftraten. Dazu aus der Chronik des Schloss Püchau: "26.2.1912 Eine Windhose richtet am Dorf Püchau sowie an Schloss und Park große Schäden an. Am 18.5. besichtigt der sächsische König Friedrich August III. die Schäden. Danach erfolgte der Umbau des Schlosses unter Carl Christian Gottlieb Moritz Graf von Hohental-Püchau, das seine heutige Gestalt erhält." (Das Datum 26.2. ist sehr wahrscheinlich falsch.) Und weiter aus Wassertourismus in und um Wurzen: "Im Mai 1912 wurde Püchau zum Teil von einer Windhose zerstört. Einige Gebäude hielten nach diesem Unwetter nicht mehr stand."

Anwohner berichten auch über Schäden durch die Windhose in Sitzenroda bei Schildau: So ist an der Straße Zum Quellental die eine Hälfte eines Fachwerkobergeschosses vom Scheunenteil des Hauses mitsamt dem halben Dachstuhl komplett zerstört worden. Auch beim gegenüber liegenden Nachbarn, genau in Zugrichtung, lag das gesamte Scheunendach "im Holze". Möglicherweise gehören weitere Schäden in Puschwitz bei Belgern ebenfalls zu diesem Ereignis.

Aus einer Meldung der Coburger Zeitung vom 16.05.1912: "Torgau, 14. Mai. Eine Windhose zerstörte etwa 80 Morgen städtischen Forst im Revier Puschwitz." Puschwitz ist ein sehr kleiner Ort, etwa zwei Kilometer südwestlich von Belgern, nahe der Elbe, südöstlich von Torgau.

Aus einer Meldung der Torgauer Zeitung vom 27.07.2010: "Belgern (TZ). Kaum zu glauben, dass fast zum gleichen Zeitpunkt im Mai 1912, vor genau 98 Jahren, ein ähnliches Unwetter wie zu Pfingstmontag von Leipzig bis nach Mühlberg hinweg zog und eine Schneise der Verwüstung hinterlassen hatte. Auch Belgern, Puschwitz oder Neußen sowie angrenzende Waldgebiete wurden damals nicht verschont. Das die Vergangenheit sich wiederholte, darauf wurde der Enkel des ehemaligen Torgauer Stadtförsters Friedrich Haak, der seinen Sitz im ehemaligen Forsthaus Puschwitz hatte, aufmerksam.
Als er das Ausmaß und die Zerstörungswut des Unwetters in der Zeitung gelesen und gesehen hatte, kamen ihm die Ereignisse irgendwie bekannt vor. Er zögerte nicht lange und kramte in den alten Akten seines Großvaters, um den Beweis zu finden, dass vor rund 100 Jahren ein gleichstarker Sturm wie der zu Pfingstmontag unsere Region heimsuchte.
Und tatsächlich, er fand den Auszug eines Sturmberichtes vom 12. Mai 1912 mit dem Titel „Die Sturmverheerungen an der preußisch-sächsischen Grenze“ vom damals Königlich Preußischen Meteorologischen Institut. Daraufhin meldete er sich bei der TZ, um diese faszinierende Sichtung einmal zu veröffentlichen und zum Nachdenken anzuregen. „Denn diese Tatsache, dass ein ähnlicher Sturm bereits vor rund 100 Jahren hier wütete, an den fast gleichen Stellen, ist doch höchst interessant“, so der Nachfahre.
Darin steht, dass man damals ebenfalls davon ausgegangen ist, dass aufgrund der Fülle der verstreuten und verheerenden Sturmschäden, die Ursache eine Windhose sei. Und diese Tatsache kommt uns doch irgendwie bekannt vor.
Laut Bericht erstreckte sich die Schneise der Verwüstung südlich von Torgau auf einer Länge von 22 Kilometern. Auch im Vorfeld des Unwetters wurden Hagelschlag und verbreitete Gewittererscheinungen beobachtet. So wurden an diesem Tag innerhalb kürzester Zeit mehrere Wohnhäuser und Scheunen schwer beschädigt oder auch gänzlich niedergelegt. Ebenfalls hinterließ der Sturm besonders in den ausgedehnten Forsten zwischen Schildau, Dahlen und Belgern schwere Schäden. Überall, so der Schadensbericht, war eine allgemeine, übereinstimmende Fallrichtung des Unwetters erkennbar, und nur in vereinzelten Waldbereichen lagen Bäume in schräger Richtung übereinander. So gewann man wie auch zu Pfingstmontag den Eindruck, dass ein sich sprunghaft fortbewegender Sturm sich seinen Weg durch die Wälder der Region bahnte und dabei alles niederdrückte oder niederwälzte, was seine Route kreuzte.
Mit besonders großer Deutlichkeit trat laut dem Bericht das merkwürdige Sturmverhalten an der westlich von Lausa in Nordsüdrichtung verlaufenden Niederung auf. Auch im Neußener Feldmark und in Puschwitz war die Schadenszone deutlich zu erkennen. Zum Teil wurden hundertjährige Buchen und Birken sowie gemischte Kiefernwälder in verheerender Weise vernichtet. So ging man davon aus, aufgrund der Schäden und der geradlinig verlaufenden Richtung des Sturmes, dass nicht, wie in damaligen Zeitungsberichten geschrieben war, eine Windhose die Ursache wäre, sondern eher eine starke Böe, die über das Land hinwegzog.
Die Besitzerin eines stark beschädigten Gehöftes in Sitzenroda hatte im Moment des Sturmes im Mai 1912, als ihre Gebäude einstürzten, gemeint, das Ende der Welt sei gekommen. An weitere Einzelheiten könne sie sich jedoch nicht erinnern, da der Sturm in eine Bruchteil von Sekunden über das Land hinwegfegte. So beschrieb der meteorologische Bericht die Aussage einer Betroffenen.
Im Allgemeinen jedoch versucht der meteorologische Bericht, den die TZ nur auszugsweise erhalten hat, die damaligen Wettergegebenheiten und die verursachten Sturmschäden wissenschaftlich zu ergründen und zu analysieren.
Letztendlich ist es doch bemerkenswert, wie ähnlich der Sturmverlauf und dessen Schäden vor rund 100 Jahren im gleichen Monat waren. So fragt man sich, ob dieses beunruhigende wiederholte Auftreten eine wissenschaftliche Ursache hat und ob in solchen Naturereignissen eine Regelmäßigkeit liegt. Können wir uns vielleicht auf den Sturm in den nächsten 100 Jahren vorbereiten oder ist das alles nur Zufall, der uns nur zu unsinnigen Spekulationen treibt. Auf eine Anfrage beim Wetterdienst Meteomedia AG wäre eine genaue Analyse dieser beiden Ereignisse bezüglich ihres Auftretens und der daraus hervorgehenden Sturmschäden jedoch sehr zeitintensiv, da dieser von 1912 schon zu lange zurückliegt und genaue Messdaten vorliegen müssten, um mit dem jetzigen Vergleiche durchzuführen.
Interessant wäre es auf jeden Fall, die beiden Sturmereignisse einmal näher unter die Lupe zu nehmen. Und vielleicht ist bei dem ein oder anderen das Interesse geweckt worden, mehr darüber in Erfahrung zu bringen und einen eigenen Vergleich der Ereignisse zu wagen."

Auch in Hohburg entstanden enorme Schäden.

Sehlis 1
Bildquelle: Sammlung M. Deutsch (Leipzig/ Erfurt)
Sehlis 2
Bildquelle: Sammlung Thomas Sävert
Links zum Tornado vom 12. Mai 1912:
Chronik von Taucha (Taucha direkt)
Die Windhose von Sehlis (Kirchgemeinde Taucha)
Einige Fotos der Schäden (WZ-Forum)
Windhose zerstört Sehlis (Wetterchronik)
Schloss Püchau Geschichte (Schloss Püchau)
Weitere verheerende Wetterkapriolen (Wassertourismus in und um Wurzen)
Steinarbeiterhaus zeigt historische Fotos (Leipziger Volkszeitung, 12.03.2010)
Das kommt einem doch bekannt vor (Torgauer Zeitung, 27.07.2010)
Der Tornado kam abends vor 100 Jahren (Torgauer Zeitung, 27.01.2012)
Mühle fiel bei Tornado (Torgauer Zeitung, 17.02.2012)


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